Seinerzeit: Nellie Bly

In 72 Tagen um die Welt …

Elizabeth Jane Cochran sollte das Unmögliche möglich machen und die Erde entgegen aller Erwartungen von Jules Verne, der schon 79 Tage für eine Frau für unwahrscheinlich hielt, die Erde in 72 Tagen umrunden – doch das ist noch nicht einmal das Interessanteste an ihr.

Die Weltenbummlerin wurde 1864 im amerikanischen Pennsylvania geboren. Ihr Vater verstarb in ihrem 6. Lebensjahr und hinterließ ihre Mutter mit 14 Kindern in Armut. Eigentlich wollte Elizabeth Cochran Lehrerin werden, doch das Geld fehlte, um die Ausbildung zu beenden. Das Aufwachsen in unterprivilegierten Verhältnissen führte ihr deutlich vor Augen, dass sie für den eigenen Lebensunterhalt selbst arbeiten muss und keine familiäre Unterstützung erwarten kann. Den Grundstein für ihre weitere Karriere legte dann aber ein Leserbrief.

Die Kolumnistin Nellie Bly

Der von Cochran verfasste Leserbrief an die Tageszeitung „Pittsburgh Dispatch“ befasste sich höchst kritisch mit einem bereits erschienenen Artikel zur klassischen frauenfeindlichen Rollenverteilung – anonym unter- schrieben mit „Einsames Waisenmädchen“. Dieser schlug so hohe Wellen, dass der Chefredakteur nach der Autorin des Briefes mit Hilfe einer Zeitungsannonce suchte.

So geschah es, dass Elisabeth Jane Cochran zu einem Treffen in die Redaktion kam und als Kolumnistin mit dem Pseudonym Nellie Bly wieder ging. Der Plan des Chefredakteurs war es – wie Ende des 19. Jahrhunderts sehr verbreitet – Bly auf die Themen Kochen und Lifestyle anzusetzen, so wie es sich für eine Frau damals gehörte.

Doch da hatte er die Rechnung ohne seine aufstrebende Journalistin gemacht. Als sogenannte „Girl Stunt Reporterin“ prägte sie den Journalismus nachdrücklich. Auch wenn heute hauptsächlich die Männer der damaligen Zeit als Enthüllungsjournalisten in die Geschichte eingingen, waren es junge Frauen, die dieses Berufsbild prägten. Sie alle enthüllten wichtige gesellschaftliche Missstände und brachten diese unter Einsatz ihrer physischen und psychischen Kräfte an die Öffentlichkeit. Sie wurden von der Leserschaft nahezu verehrt und ließen die Kassen der Verleger durch hohe Auflagen klingeln.
So war es auch mit Nellie Bly. Statt sich hinter Blumendeckchen und Kochrezepten zu verstecken, wagte sie den Sprung in den Investigativ-Journalismus. Gleich zu Beginn schrieb sie eine Artikelserie zum Alltag und Leben von FabrikarbeiterInnen.

Das Leben als Abenteurerin

Doch es kam, wie es kommen musste: Trotz erfolgreicher Enthüllungsreportagen wurde sie in die Redaktion für Frauenthemen versetzt und sollte über Kunstgeschichte und Mode berichten. Frustriert über ihre berufliche Entwicklung verließ Nellie die Zeitung und nahm eine Anstellung als Korrespondentin in Mexiko an. Ein halbes Jahr lang berichtete sie über Armut und Korruption, bis die mexikanische Regierung sie zwang, Mexiko zu verlassen.

Zurück in Amerika blieb ihr nicht viel anderes übrig als Theaterkritiken bei der „Pittsburgh Dispatch“ zu verfassen. Auch diese Tätigkeit konnte ihr keine Freude bereiten. 1887 folgte sie ihrem Herzen und reichte nicht nur ihre Kündigung ein, sondern krempelte ihr ganzes Leben um und übersiedelte nach New York. Nach einiger Zeit der Arbeitslosigkeit und Ablehnung vieler Verleger und Chefredakteure auf Grund ihres Geschlechts, fand sie einen Job bei der Zeitung „New York World“, dessen Verleger niemand geringerer als Joseph Pulitzer war – dessen Journalismus-Auszeichnung wir alle kennen. Zu diesem Zeitpunkt konnte niemand auch nur ahnen, welchen Berühmtheitsstatus Nellie Bly noch erreichen sollte.

Der größte journalistische Erfolg

Noch im selben Jahr veröffentlichte sie ihre erste Reportage bei der „New York World“ mit dem Titel „Zehn Tage im Irrenhaus“, welche auch in Buchform erhältlich war. Für diesen höchst erfolgreichen Bericht beschloss Nellie, sich unter einem falschen Vorwand selbst für 10 Tage in eine Nervenheilanstalt einweisen zu lassen und die Behandlung am eigenen Leib zu erfahren. Die Reportage darüber strotzte nur so von Missständen, Mangelernährung und Missbrauch.

Der Bericht verdeutlichte die katastrophalen Bedingungen in der sich die Frauen in der Irrenanstalt in Blackwells Island damals behandeln lassen mussten. Nach Nellie Blys Analyse waren dort nicht nur psychisch beeinträchtigte Frauen untergebracht, sondern sehr wohl auch viel gesunde Frauen, die „nur“ zu arm waren, um anderswo ihr Leben zu führen. Die Veröffentlichung schlug solche Wellen, dass der Bürgermeister von New York die Einrichtung renovieren ließ und das Einweisungsverfahren überarbeitete.

Auf diesen Erfolg folgten viele weitere – so schrieb sie unter anderem über Arbeitsrechtler, deckte einen Korruptionsskandal auf und berichtete über die dunklen Zustände der unterprivilegierten Gesellschaftsschichten. Sie prägte nicht nur thematisch den Enthüllungsjournalismus sondern auch durch ihren revolutionären literarischen Erzählstil aus der Ich-Perspektive.

Weltreise

Zwei Jahre nach ihrem bisher größten Erfolg brach Nellie Bly zu ihrer Weltreise auf. Inspiriert von dem Roman „In 80 Tagen um die Welt“ von Jules Verne sollte dieser einem Realitätscheck unterzogen werden. Entgegen ihren eigenen Erwartungen stürzte sich die „New York World“ geradezu auf das Vorhaben und brachte es auf ihre Titelseite. Gleichzeitig sollte nämlich auch eine Journalistin von der „Cosmopolitan das gleiche Vorhaben wagen – lediglich andersherum.

Am 14. November 1889 ging die erfolgreiche Journalistin an Board der Augusta Victoria. Nachdem sie in London das Schiff verließ, ging es über den Suez-Kanal nach Indien, Japan und China wieder zurück in die USA. Für die Reise genutzt wurde jegliches damals zur Verfügung stehende Verkehrsmittel – egal ob Zug oder Kutsche.

72 Tage, 6 Stunden und 11 Minuten, nachdem Nellie Bly die Augusta Victoria betreten hatte, kam sie wieder in den USA an. Freudig wurde sie von der Presse bereits erwartet. Ihr Reisebericht „In 72 Tagen um die Welt“ verfasste sie im Alter von 26 Jahren. Dieser lässt sich bis heute äußerst unterhaltsam lesen.

Nach der aufregenden Weltreise hörte Bly auf zu berichten und nahm einen lukrativen Job als Autorin von Fortsetzungsromanen für das wöchentlich erscheinende New York Family Story Paper an. Die ersten Kapitel basierten auf dem realen Prozess gegen Eva Hamilton. Zwischen 1889 und 1895 schrieb sie elf Romane.

Von der Autorin zur Geschäftsfrau

1895 heiratete Nellie Bly im Alter von 33 Jahren den millionenschweren Fabrikanten Robert Seaman. Dieser war zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits 73 Jahre alt. Aufgrund der schlechten Gesundheit ihres Mannes kehrte sie dem Journalismus den Rücken und trat im Jahr 1904 die Nachfolge ihres Mannes als Leiterin der Iron Clad Manufacturing Co. an.

Auch in dieser Funktion bewies sie Können und erhielt Patente für eine neuartige Milchkanne und eine stapelbare Mülltonne. Eine Zeit lang war sie eine der führenden Industriellen der Vereinigten Staaten. Aber ihre Nachlässigkeit in der Mitarbeiterführung endete im Bankrott der Iron Clad Manufacturing Co.

Sie wechselte daraufhin zurück in den Journalismus. Im Jahr 1913 sagte sie in einem Bericht über die Suffragetten das genaue Jahr der Einführung des Frauenwahlrechts in den USA voraus: 1920. Sie berichtete u. a. auch über die Ostfront des 1. Weltkriegs. Nellie Bly war die erste Frau, die das Kriegsgebiet zwischen Serbien und Österreich besuchte.

Nach einem mehr als aufregendem und ereignisreichen Leben stirbt Nellie Bly im Alter von 57 Jahren an einer Lungenentzündung im St. Mark’s Hospital in New York City.

Sie prägte eine ganze Sparte des Journalismus durch ihre Arbeit und ihren persönlichen Schreibstil. Leider ist Nellie Bly in der Geschichtsschreibung nicht die gleiche Ehre wie den Männern zu Teil geworden und bis heute ist sie kaum bekannt. Jedoch war sie es, die zusammen mit anderen mutigen Frauen, die Berichterstattung völlig neu definierte.

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